Mutige Frauen

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Mutige Frauen

# Predigt des Superintendenten

Mutige Frauen
Und der König von Ägypten sprach zu den Hebammen der Hebräerinnen, von denen die eine Schifra hieß und die andere Pua: Wenn ihr den hebräischen Frauen bei der Geburt helft, dann seht auf das Geschlecht. Wenn es ein Sohn ist, so tötet ihn; ist’s aber eine Tochter, so lasst sie leben. Aber die Hebammen fürchteten Gott und taten nicht, wie der König von Ägypten ihnen gesagt hatte, sondern ließen die Kinder leben. Da rief der König von Ägypten die Hebammen und sprach zu ihnen: Warum tut ihr das, dass ihr die Kinder leben lasst? Die Hebammen antworteten dem Pharao: Die hebräischen Frauen sind nicht wie die ägyptischen, denn sie sind kräftige Frauen. Ehe die Hebamme zu ihnen kommt, haben sie geboren. Darum tat Gott den Hebammen Gutes. Und das Volk mehrte sich und wurde sehr stark. Und weil die Hebammen Gott fürchteten, gab er auch ihnen Nachkommen. Da gebot der Pharao seinem ganzen Volk und sprach: Alle Söhne, die geboren werden, werft in den Nil, aber alle Töchter lasst leben.   

Mutige Frauen – widerstehen dem Tod und dem Bösen

Schifra und Pua heißen die beiden. Hebammen sind sie – Geburtshelferinnen, die zu Todeshelferinnen werden sollen. Was für eine Pervertierung! Doch von Anfang an … 

Da kommt ein neuer Anführer an die Macht, ein neuer Pharao über Ägypten. Er kennt Josef nicht mehr, Musterbeispiel gelungener Integration, ja sogar zweiter Mann im Staate gewesen. Er weiß nicht, dass seine Nachkommen, die auch Nachkommen Abrahams sind, ein Segen für alle Völker sein wollen. Das weiß er nicht und selbst wenn… 

Was er sieht sind Menschen, die anders glauben als er, anders sprechen, anders leben. Und er macht aus den Anderen Fremde und aus den Fremden Feinde. Geht ganz schnell. Er lässt sie Zwangsarbeit verrichten, versucht so ihren Lebenswillen zu brechen. Doch die Israeliten kriegen weiterhin Kinder, ihre Geschichte soll weitergehen, das Gottesvolk Zukunft haben. Da sät der Pharao Hass und Angst in seinem Volk. Malt ein rassistisches Feindbild, das viele nach ihm und bis heute genauso pinseln. „Sie vermehren sich so schnell“, sagt er. „Es sind so viele von denen – bald gibt es von ihnen mehr als von uns.“ So redet er. 

Kommt uns bekannt vor. In unserer Zeit sprechen rechtsradikale Verschwörungserzähler vom „Bevölkerungstausch“, von der „Flüchtlingsschwemme“ und dass Migranten Haustiere essen würden. Mit solchen und ähnlichen Lügen lassen sich Wahlen gewinnen. Auch 1933 ist das so und bald danach folgt der Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte, Vorbote der Novemberpogrome von 1938: „Deutsche wehrt euch!“ Wehren muss man sich gegen Angreifer. 

Auch der Pharao betreibt dieses perfide Spiel der Verfeindung. „Wenn ein Krieg ausbräche, auf welcher Seite stehen die Hebräer wohl?“ Da hat er seinen Mordplan schon in der Tasche. Zwei Frauen sollen ihn ausführen, sollen heimlich die männlichen Neugeborenen der hebräischen Frauen umbringen. Nur die Jungen, denn die werden zu Männern, und Männer sind stark und können gefährlich werden, können sich auflehnen gegen die Zwangsarbeit, Aufseher totschlagen. 

Die Mädchen dagegen dürfen leben, Frauen sind ja harmlos, lassen sich schon gefügig machen – so die Logik des Pharaos, die viele Gewaltherrscher mit ihm teilen. Wie er sich irrt! Und was für eine wunderbare Ironie der Geschichte, dass es gerade zwei Frauen sind, die Widerstand leisten, nicht mit Gewalt, sondern mit Klugheit. 

Als der Pharao sich erkundigt, warum sie seinen Befehl nicht ausführen, antworten sie mit einem antisemitischen Klischee, behaupten eine quasi animalische Überlegenheit der Israelitinnen: „Die hebräischen Frauen sind nicht wie unsere, sie gebären so schnell“ sagen sie. „Wenn wir vor Ort sind, ist das Kind schon entbunden.“ „Sie sind kräftige Frauen.“ Die beiden Hebammen jedenfalls sind listige Frauen, listiger als der Pharao. Sie gehorchen Gott mehr als den Menschen. Schifra und Pua – übersetzt Schmuck und Glanz. Ja – es ihre Menschlichkeit, die sie schmückt, ihre Widerständigkeit ist ein Glanz in der Dunkelheit.

Mutige Frauen – widerstehen dem Tod und dem Bösen

Eine ist Elisabeth Schmitz. Die Studienrätin am Luisen-Lyzeum in Berlin-Mitte schließt sich 1934 der Bekennenden Kirche an. Mit einer Denkschrift und in vielen Briefen versucht sie ihre Kirche aufzurütteln gegen die zunehmende Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden zu protestieren. Ohne Erfolg. Auch die Bekennende Kirche will sich nicht öffentlich gegen das NS-Regime positionieren. 

Nach den Novemberpogromen 1938 schreibt Schmitz zwei Briefe an den Theologen und Pfarrer Helmut Gollwitzer, in denen sie auch fordert, die bedrängten jüdischen Gemeinden finanziell zu unterstützen und Kirchen für den jüdischen Gottesdienst bereitzustellen.

„Als wir am 1. April 1933 schwiegen, als wir schwiegen zu den Stürmerkästen, zu der satanischen Hetze in der Presse, zur Vergiftung der Seele des Volkes und der Jugend, zur Zerstörung der Existenzen und der Ehen durch sogenannte ‚Gesetze‘, zu den Methoden von Buchenwald – da und tausendmal sonst sind wir schuldig geworden am 10. November 1938.“  

Doch Elisabeth Schmitz greift nicht nur zur Schreibmaschine, in ihrer Wohnung oder in ihrem Wochenendhaus „Pusto“ in Wandlitz, das sie Ende 1938 erworben hatte, beherbergt sie verfolgte Juden. Und ihre Kollegin und Freundin Elisabeth Abegg tut es ihr gleich. Sie gehört zur christlichen Gemeinschaft der Quäker. 

Zusammen mit ihre Schwester Julie und ehemaligen Schülerinnen gründen die Frauen ein geheimes Hilfswerk. Die Schwestern verstecken und versorgen Jüdinnen und Juden in ihrer eigenen Wohnung, Elisabeth organisiert weitere Unterkünfte, Lebensmittelkarten und gefälschte Papiere. Julie Abegg näht und repariert Kleidung für Menschen, die vor einer drohenden Deportation in Ghettos und Vernichtungslager untergetaucht sind. Und jeden Freitag richten die beiden einen Mittagstisch für Verfolgte aus. Bis zu 80 Menschen finden bei ihnen Hilfe. Elisabeth Abegg wird 1967 und Elisabeth Schmitz 2011 posthum als Gerechte unter der Völkern in Yad Vashem geehrt.  

Mutige Frauen – widerstehen dem Tod und dem Bösen

 „Omas“ nennen sie sich, auch wenn nicht alle Enkelkinder haben. „Omas gegen Rechts“ – das sind ältere Damen, die auf kreative Weise gegen Rechtsextremismus und Rassismus protestieren. In Deutschland gibt es viele von Ihnen. Die Berlinerin Irmela Mensah-Schramm ist sogar „Ehren-Oma“. 

Seit 35 Jahren schon entfernt sie Nazi-Schmierereien in der Öffentlichkeit. Ihre Werkzeuge: Cuttermesser, Pinsel und Sprühdose. Kratzt Aufkleber mit gewaltverherrlichenden Sprüchen an Bushaltestellen ab, oder verwandelt Hakenkreuze in tanzende Männchen. Manchmal allerdings hilft nur übersprühen. Und aus Hassbotschaften werden Blumen-Motive. Ihr Tun erregt Argwohn. Zahlreiche Anzeigen wegen Sachbeschädigung hat sie bereits erhalten, wurde in Polizeigewahrsam genommen und bekam im Internet Morddrohungen. Ob sie keine Angst hat? „Habe ich, aber ich lasse sie mir nicht anmerken“, sagt Irmela Mensah-Schramm.

Mutige Frauen – widerstehen dem Tod und dem Bösen

Ob sie nun Schifra, Pua, Elisabeth, Julie oder Irmela heißen. Hebammen sind sie irgendwie alle, Geburtshelferinnen der Menschlichkeit in dunkler Zeit, verhelfen dem Leben zum Sieg, heimlich und verborgen, mit Liebe, List und Kreativität. Haben solche sich nicht auch aufgemacht zur Grabeshöhle am dritten Tag? Salböl in den Händen und die Hoffnung im Herzen: Liebe wird stärker sein als alle Mächte des Todes. 

Schifra und Puas geheime Rettungsaktion ist nur kurzer Erfolg beschieden. Der Pharao gebietet, alle männliche Neugeborenen der Israeliten sollen kurzerhand in den Nil geworfen werden, er dehnt den Mordbefehl auf das ganze Volk aus. Auch am 9. November 1938 geschieht das, die Beteiligung aller Teile der Gesellschaft am Vernichtungsprogramm der Nazis, durch Zerstörung, Gewalt und Denunziation. So vielen Elisabeth Schmitz und Elisabeth und Julie Abegg auch helfen konnten, für die allermeisten gab es keine Rettung. So viele Hakenkreuze die „Omas gegen Rechts“ auch übersprüht haben, es kommen neue hinzu. Der alte Hass ist nicht totzukriegen, wie es scheint.

Im Talmud heißt es: „Es obliegt dir nicht die Arbeit zu vollenden, doch es obliegt dir auch nicht, dich ihr zu entziehen.“

Am Nilufer findet eine badende Ägypterin ein Kästchen im Schilf, darin ein weinendes Baby. Seine Mutter hatte ihn in dieser kleinen Arche in Wasser gelegt, doch seine Schwester war in der Nähe geblieben. „Es ist ein Hebräerkind“, sagt die Frau, die Tochter des Pharaos ist und nimmt den kleinen Jungen auf den Arm. Die Schwester des Jungen bietet an, zu den Israelitinnen zu gehen und ihr eine Amme zu suchen. Sie kommt mit ihrer Mutter wieder und die Tochter des Pharaos nimmt sie zu sich. Sie adoptiert den Jungen und nennt ihn „Mose“ – „denn ich habe ihn aus dem Wasser gezogen“. Später wird er mit den Israeliten durch das Wasser ziehen, das geteilte Schilfmeer, sein Volk in die Freiheit führen.

Amen.

Florian Kunz

Predigt gehalten am 9. November 2024, 10 Uhr in der Melanchthonkirche zur Eröffung der Herbstsynode. Eine Predigt nach Exodus 1, 15-22: Mutige Frauen

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