"Gärtnergeschichte" Osterpredigt des Superintendenten

"Gärtnergeschichte" Osterpredigt des Superintendenten

"Gärtnergeschichte" Osterpredigt des Superintendenten

# Predigt des Superintendenten

"Gärtnergeschichte" Osterpredigt des Superintendenten

Vor über 50 Jahren landete der Liedermacher Reinhard Mey einen Hit, dessen Titel zum geflügelten Wort geworden ist: „Der Mörder ist immer der Gärtner“.

Eine Parodie auf Kriminalgeschichten mit vorhersehbarem Ausgang und stereotypen Charakteren, wie sie die damals populären Edgar-Wallace- und Agatha-Christie-Verfilmungen bevölkerten.  

Der Mörder war wieder der Gärtner,
und der plant schon den nächsten Coup.
Der Mörder ist immer der Gärtner,
und der schlägt erbarmungslos zu!

„Der Gärtner war’s!“ Das scheint auch Maria Magdalena zu denken. Nicht, dass sie ihm einen Mord unterstellt – nein. Aber, dass Verschwinden einer Leiche, traut sie ihm schon zu. Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.   

Jesus, den sie sucht, er steht vor ihr. Aber sie erkennt ihn nicht. Irgendwie eine tragikomische Szene, quasi der erste Osterwitz der Weltgeschichte. Nur zum Lachen ist hier niemandem zumute. Im Gegenteil: Maria ist in Tränen aufgelöst. Zweimal hat sie Jesus verloren – erst den Lebenden und dann den Toten. Nicht mal mehr einen Ort hat sie um ihn zu betrauern. „Wo ist der Verstorbene hin?“ Schmerzhaft pocht diese Frage in ihrem Kopf. Und die Antwort drängt sich geradezu auf, als dieser Mann zu ihr tritt, sich erkundigt, warum sie weint. „Herr hast du ihn weggetragen?“ „Der Gärtner war’s!“ so schließt sie, denn wer soll das sonst sein, der hier vor ihr steht auf diesem Friedhof? Die Ausleger haben gerätselt, warum Maria Jesus zunächst nicht erkennt? Weil im Morgengrauen die Konturen verschwimmen? Sieht Jesus anders aus, als Maria ihn kannte? Ist ihr Blick so verhangen durch Tränenschleier und Trauer? Oder ist es schlicht so, dass Maria in dem Moment nur sieht, womit sie rechnen kann?

Schönes Missverständnis jedenfalls, dass Maria Jesus für den Gärtner hält! Oder ist es vielleicht mehr als ein Missverständnis? Künstler seit dem 11. Jahrhundert haben das so gesehen und Jesus in der Begegnung vor der Grabeshöhle tatsächlich als Gärtner dargestellt. Dem Auferstandenen wurde ein Spaten in die Hand gemalt oder eine Gartenhacke über die Schulter gelegt, in manchen Bildern trägt er sogar einen Strohhut. 

„Der Gärtner war’s!“ und Jesus war der Gärtner

Gemälde mit Jesus als Gärtner, die kniende Maria Magdalena vor ihm

Eines dieser Bilder haben Sie vor sich: 1507 hat es der flämische Maler Jacob van Oostsanen geschaffen. Der Spaten, auf den Jesus sich hier stützt, ist kein schweres Gerät, zierlich wirkt er, als wäre er vor allem symbolisch gemeint. Der ungewöhnliche dreieckige Griff steht für die Dreieinigkeit Gottes. Dieser Gärtner hat seine Kraft nicht aus sich selbst, hier legt Gott mit Hand an.   

Der Maler fängt den Moment ein, wo Maria erkennt, wer hier vor ihr steht. Sie erkennt Jesus, indem er ihren Namen nennt. Ihr Glaube entzündet sich am Klang dieser Stimme, an der Zärtlichkeit der Anrede: Maria! – Rabbuni!

Und auf einmal steht die Welt still. Hört sich einen Moment lang auf zu drehen. In diesem Augenblick ist es wie ganz am Anfang, so wie in dem ersten Garten. Da sehen sich Zwei, ein Mann und eine Frau, finden ihr Gegenüber. Und die Welt ist komplett, mit zwei Menschen, beide aufgehoben im Blick des anderen. Und der Friedhof wird wie der erste Garten, wo der Tod noch nicht war. Nur die beiden Menschen, nur zwei Namen. Adam und Eva. Maria Magdalena und Jesus von Nazareth.   

Im Bild trägt Maria kein Trauerkleid, sondern ein Festgewand, goldfarben, als wär‘s ein Hochzeitskleid, als hätte die Begegnung mit dem Auferstandenen sie verwandelt. Tränen und Gold – Trauer und Fest – beides kommt hier zusammen. Und in das Kleid von Maria sind Granatäpfel eingewebt – die erinnern vielleicht an das Hohelied der Liebe, auch so ein biblischer Gartentext. Oder sie sind eine Anspielung auf die Früchte vom Baum der Erkenntnis, der im Paradies stand, dem Garten von Gott selbst angepflanzt, seine gute Schöpfung.  

„Der Gärtner war’s!“

Spricht Jesus zu Maria: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. „Rühre mich nicht an!“ Oder auf Latein: „Noli me tangere“ – so hat man in der Kunst Bilder wie dieses von Jacob van Oostsanen genannt. Doch hier gibt es eine Besonderheit. Normalerweise ist Jesus auf solchen Bildern in einer abweisenden Bewegung dargestellt, er entzieht sich Maria, die ihn berühren, umarmen will. Reißt sich förmlich von ihr los und oft weist ein Finger zum Himmel. „Da gehöre ich hin!“ bedeutet das. 

Ganz anders hier: Jesus ist Maria zugewandt, seine Augen ruhen auf ihr und seine Hand berührt ihre Stirn. Es sieht aus wie ein Bekreuzigen, als würde er sie segnen, oder weckt er sie mit dieser Berührung aus ihrer Trauer? Hier gibt es jedenfalls kein Kontaktverbot, die körperliche Nähe zum geliebten Menschen darf sein. Der Maler hat wohl den Bibeltext besser verstanden als viele seiner Kollegen. Im griechischen Original heißt es nämlich nicht; „Rühr mich nicht an!“, sondern „Halte mich nicht fest!“ Das ist etwas anderes. Nein, festhalten kann Maria ihn nicht. Seine lebendige Gegenwart ist nicht mehr an einen Ort, an eine Begegnung gebunden, sie ist jetzt viel weiträumiger. 

Deshalb trägt Jesus einen blauen Mantel – die Himmelsfarbe steht für diese Wirklichkeit Gottes, außerhalb der Zeit. Und auf der Brokatbordüre am Hals und am Saum des Gewands stehen die Bibelworte auf Latein: Maria, halte mich nicht fest, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater! Maria muss Jesus loslassen und gleichzeitig diese Begegnung im Herzen bewahren, und anderen davon erzählen: „Ich habe den Herrn gesehen!“ Das weiterzusagen ist ihr Auftrag. Und dazu passt, dass zu Füßen Jesu Wegerich und Löwenzahn ihre Samen verbreiten. Ja, die Auferstehungsbotschaft soll sich wie Flugsaat verbreiten, wie schönes Unkraut wuchern, damit jeder weiß: Die Pforte zum Paradies steht wieder offen. 

„Der Gärtner war‘s!“

Manchmal ist es auch eine Gärtnerin, die die gute Saat der Hoffnung verbreitet. Alla Olkovska lebt in Charkiw. Die zweitgrößte Stadt der Ukraine liegt so nahe der russischen Grenze, dass Bomben und Raketen dem Luftalarm manchmal zuvorkommen. 

„Es ist immer gefährlich draußen zu sein, weil man nie weiß wann die nächste Explosion passiert“, erzählt Alla. Trotzdem steigt sie – so oft sie kann – in den Bus, um zum Garten zu fahren, der 15 Kilometer entfernt von ihrer Wohnung liegt, und den sie von ihrer Großmutter geerbt hat. Hier züchtet Alla seltene Clematis-Sorten und verschickt die Samen über das Internet in die ganze Welt. Ernährt so ihre Familie und setzt dem Grauen des Krieges etwas Hoffnungsvolles entgegen. 

2020 hat sie die ersten Samentütchen gepackt – heute verschickt sie diese nach in die USA, nach Kanada und Europa, nach Taiwan, Japan und Australien. Von April bis Oktober ist Allas Garten ein einziges Blumenmeer. Neulich sind Trümmerteile vor dem Garten eingeschlagen, der Krieg ist auch hier ganz nah, doch für Alla ist es ein Ort des Lebens. „Ich liebe die Clematis für ihre Widerstandskraft und Vielfalt“ sagt Alla während sie neue Tütchen packt. Mitten in Tod und Verwüstung macht Alla die Welt zu einem schöneren Ort – geradezu österlich ist das.   

Der Gärtner war’s!

Das ist die Botschaft von Ostern. Denn Jesus war ein Gärtner, keiner mit Handschuhen, sondern schmutzigen Fingernägeln. Hineingegraben hat er sich in das Leben, war ganz und gar erdverbunden. Hat manche Vorstellungen vom Glauben gründlich umgewühlt und Menschen zum Blühen gebracht. Als er am toten Holz sein Leben ausgehaucht hat, hat es gegrünt als wär’s ein Lebensbaum. Und selbst im Dunkel der Grabeshöhle hat er neues Leben aufwachsen lassen, verborgen und unbemerkt. Was für ein Coup!

Nein, Maria hat sich nicht geirrt – wie Recht sie doch hatte. Was sie erfährt, möge auch für uns wahr werden: Dass der Auferstandene uns findet – selbst in Trauer und Tränen. Und wenn wir ihn nicht erkennen, es der Klang seiner Stimme ist, der uns verstehen lässt, dass er uns besser kennt als wir selbst und uns ruft: „Maria, Alla, Bernhard, Wolfgang, Hanna, Florian.“ Und das auch: Dass der Tod nicht mehr sein wird in Charkiw und Cherson, Gaza, Israel und im Sudan, an so vielen Orten fern und nah. Die Welt kein Friedhof mehr, sondern ein Garten. Und wir mittendrin – mit schmutzigen Fingernägeln und der Flugsaat der Hoffnung im Herzen.

Im Lied von Reinhard Mey stellt sich schließlich heraus; der Mörder war gar nicht der Gärtner. Der Butler war’s.

Hätte man sich ja denken können … denn Gärtner lieben nicht den Tod, sie lieben das Leben.

Frohe Ostern! Amen.
Florian Kunz

Die Predigt wurde am Ostersonntag, 20.4.2025 in St. Nikolai gehalten.

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