13/01/2025 0 Kommentare
Alles Gute!
Alles Gute!
# Predigt des Superintendenten

Alles Gute!
Bei Jahreslosungen scheint der Trend zu Imperativen zu gehen - weniger Zusage, sondern vielmehr Aufgabe, ein Tu-Wort als Neujahrsvorsatz. Wissen Sie noch wie die Losung für 2024 lautete? Genau! „Alles was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen!“ Oder in der Kurzform: Alles Liebe!
Für 2025 nun ist das biblische Jahresmotto: Prüft alles und behaltet das Gute! Abgekürzt: Alles Gute! Oder wie der Berliner sagt: „Allet Jute, wa!“ So verkürzt klingt es wie ein Neujahrswunsch oder ein Abschiedsgruß, beim Winken noch schnell hinterhergerufen. Die Langfassung ist anspruchsvoller, mühsamer, ein Auftrag:
Prüft alles und behaltet das Gute! Das könnte der Produktionschef den Qualitätskontrolleuren am Fließband zurufen. Es klingt wie das Motto von TÜV und Stiftung Warentest. Prüft alles und behaltet das Gute! Das ist das Aschenputtel-Prinzip: „Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen!“ Es ist das Mantra des anspruchsvollen Kunden, der jede Bio-Mandarine im Supermarkt auf Flecken und Druckstellen prüft bis das Obstnetz voll ist oder die anderen Kunden genervt…
Prüft alles und behaltet das Gute! Diese Worte schreibt der Apostel Paulus in einem Brief nach Thessaloniki, damals Hauptstadt der römischen Provinz Makedonien, eine Hafenmetropole, kultureller Schmelztiegel, divers, multireligiös – die einen fröhnen dem Kaiserkult, die anderen verehren Dyonisus oder ägyptische Gottheiten. Das Miteinander in dieser bunten, trubeligen Stadt ist eine Herausforderung, soziale Spannungen gehören zum Alltag. Und mittendrin die neue christliche Gemeinde, die Menschen mit jüdischem und hellenistischen Background versammelt. Sie ringen um den richtigen Kurs, fragen: Woran sollen wir uns orientieren?
Da biegt Paulus mit einem ganzen Katalog von Aufforderungen um die Ecke, geschrieben im Staccato-Stil: Achtet, die sich unter euch mühen und euch vorstehen im Herrn und euch ermahnen. Haltet Frieden untereinander. Weist die Nachlässigen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig mit jedermann. Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte. Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch. Uff! Da gerät man schon beim Lesen aus der Puste – und kurz bevor Paulus in die briefliche Schlusskurve einbiegt, die mit der Aufforderung Grüßt alle mit dem Heiligen Kuss endet – kurz vor diesem Schmatzer also dann die Worte: Prüft alles und behaltet das Gute!
Schickt Paulus die Gemeinde hier zum Glaubens-TÜV? Man könnte auf den Gedanken kommen der Apostel fungiere hier als Oberkontroletti. Doch Paulus fügt noch einen weiteren Satz ein und der ist wichtig: Den Geist löscht nicht aus! Der Prüfauftrag, den Paulus der Gemeinde gibt, ist gerade kein starrer, nach Schema F. Er ist so beweglich und kreativ wie der Geistatem Gottes. Ein geistreiches Prüfen also, das sich im mutigen Experiment austobt, ins Risiko geht, um Neues herauszufinden. Dass der Planbarkeit fröhlich den Laufpass gibt und Prüfer zu neugierigen Glaubensdraufgängern werden lässt. Einfach mal ausprobieren, was gut sein kann, gut geht und gut tut. Darauf kommt es an.
Prüft alles und behaltet das Gute! „Behaltet“ – das heißt im Griechisch des Paulus „Katechete“. Klingt vertraut, oder? Da nicken nicht nur die Religions- und Gemeindepädagoginnen heftig. Katechetik ist da rauszuhören, also die Glaubensvermittlung. „Behaltet das Gute“ meint deshalb auch: Behaltet das Gelernte im Gedächtnis und Herzen!
Ab und zu halte ich den Gottesdienst in einem Pflegeheim und auch wenn ich es schon ganz oft erlebt habe, es berührt mich immer wieder aufs Neue, wenn Menschen, die an manchen Tagen ihre eigenen Kinder nicht erkennen, mit fester Stimme das Vaterunser mitbeten, oder auswendig den 23. Psalm spechen oder „Lobe den Herrn“ singen, ganz ohne Textblatt, ohne zu stocken. Es gibt offenbar Herzensworte, die sind so tief verankert, dass sie auch das Vergessen nicht auslöscht. Einmal gelernt in der Kindheit oder im Konfirmandenunterricht und sie tragen ein Leben lang. „Katechete!“
Prüft alles und behaltet das Gute! Das ist im Grunde auch die Devise von Marie Kondo. Die japanische Bestsellerautorin und Aufräumexpertin hat Ausmisten zum hippen Freizeittrend erhoben. Ihr Nachname „Kondo“ hat es sogar ins japanische Wörterbuch als Verb für „Aufräumen“ geschafft. Das muss der Frau erstmal jemand nachmachen. Ihre Methode um Ordnung zu schaffen ist eigentlich relativ simpel:
Erstmal alles auf einen großen Haufen werfen, zum Beispiel Kleidung, und dann sichten und sortieren. Manches hat ausgedient und kann gespendet werden, anderes muss nur neu gefaltet werden, nämlich in origamiförmige Rechtecke um den Platz optimal auszunutzen. An einigen Teilen hängt das Herz und schöne Erinnerungen auch. Marie Kondo rät jedes in die Hand zu nehmen und sich zu fragen: „Macht mich das glücklich?“ Wenn nein – wird ausgemustert. Prüft alles und behaltet das Gute!
Ich habe mich gefragt ob Marie Kondos Methode nicht auch für unsere evangelische Kirche in ihren Aufgaben und Veränderungsprozessen interessant sein könnte? So eine Art Kirchen-Kondo. Manches müssen wir künftig lassen, uns ehrlicherweise davon verabschieden, anderes braucht eine neue Faltung und Form. Und woran unser Herz hängt, das behalten und erhalten wir. Das sind zuallererst die Menschen, alle die ehrenamtlich und beruflich Kirche ein Gesicht geben – sie wollen wir auf keinen Fall missen. Ich bin so dankbar, dass es Sie gibt! Bei allem notwendigen Sortieren, Falten, Prüfen … unsere Aufräum-Frage wäre nicht: Macht mich das glücklich? Sondern: Ist da Evangelium drin? Dient es dazu, dass Menschen etwas erfahren von der freimachenden Liebe Gottes.
Prüft alles und behaltet das Gute! Das Gute ist die gute Nachricht – Euangelion, Evangelium. Prüfstein für all unser Tun und Lassen.
Prüft alles und behaltet das Gute! Das lässt sich auch als Aufforderung für das gesellschaftliche Zusammenleben lesen – unser Miteinander in Bezirk, Stadt und Land.
Ohne Prüfen geht es nicht in Zeiten in denen sogenannte alternative Fakten und Verschwörungserzählungen Hochkonjunktur haben und der Konzern Meta vor wenigen Tagen angekündigt hat für Facebook und Instagramm die Zusammenarbeit mit Faktencheck-Redaktionen zu beenden und die Regeln für Hassrede im Internet aufzuweichen.
Ohne Prüfen geht es nicht. Und im Wahljahr 2025 ist jede und jeder Einzelne gefordert die politischen Angebote der Parteien auf den Prüfstand zu stellen. Prüft alles und behaltet das Gute! Was das Gute ist für die Zukunft unseres Landes, darüber wird und muss gestritten werden. Gut wenn das ein fairer Wettbewerb der Ideen ist, der ohne Verächtlichmachung des politischen Gegners auskommt.
Prüft alles und behaltet das Gute! Vielleicht meint das auch immer ein Suchen nach dem Gemeinsamen, im Gespräch zu bleiben trotz Differenzen und bereit zu sein, Kompromisse einzugehen. Sagt ja so ähnlich auch Paulus: Haltet Frieden untereinander, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig mit jedermann. Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte. Seid allezeit fröhlich …Ach ja bei der Fröhlichkeit haben wir Deutsche auch noch ein wenig Luft nach oben …
Prüft alles und behaltet das Gute! Und das andere? Wie werden wir fertig mit dem was uns ängstigt und lähmt, unserer Wut und unserem Versagen? Oft nimmt das Negative mehr Raum ein in Kopf und Herz als das Gute. Die dunklen Gedankenschleifen behalten die Oberhand, sie abzuschütteln – gar nicht so leicht.
Dietrich Mendt erzählt wie beim Aufräumen der Weihnachtsdekoration versehentlich oder wohlgefügt ein kleiner Holzengel übrig bleibt und sich auf seinen Schreibtisch verirrt. Der Engel fängt an mit ihm zu sprechen und stellt sich als Heinrich vor. Und der goldene Kerzenhalter in seinen Händen entpuppt sich als ein besonderer Müllkorb. „Und wenn ich mich über irgendetwas ärgere“ erzählt Mendt, „hält er mir seinen Müllkorb hin und sagt: "Wirf rein!" Ich werfe meinen Ärger hinein - und weg ist er! Manchmal ist es ein kleiner Ärger, manchmal ein großer Kummer und der Engel flüstert "Wirf rein!"
Eines Tages fiel mir auf, dass Heinrichs Müllkorb immer gleich wieder leer war. "Wohin bringst du das alles?" "In die Krippe", sagte er. "Ist denn so viel Platz in der kleinen Krippe?" Heinrich lachte. "Pass auf! In der Krippe liegt ein Kind, das ist noch kleiner als die Krippe. Und sein Herz ist noch viel, viel kleiner." Er nahm seinen Kerzenhalter unter den linken Arm und zeigte mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, wie klein. "Denn deinen Kummer lege ich in Wahrheit gar nicht in die Krippe, sondern in das Herz dieses Kindes. Verstehst du das?"
Ich dachte lange nach. "Das ist schwer zu verstehen. Und trotzdem freue ich mich. Komisch, was?" Heinrich runzelte die Stirn. "Das ist gar nicht komisch, sondern die Weihnachtsfreude, verstanden?" Auf einmal wollte ich Heinrich noch vieles fragen, aber er legte den Finger auf den Mund. "Psst!" sagte er. "Nicht fragen! Nur sich freuen!"
Ja, liebe Gemeinde! Vergesst die Freude nicht und das Hoffnungskind in der Krippe. Nehmt den Glanz von Weihnachten mit in dieses Jahr und die Herzensworte, die euch tragen. Bleibt geistreich und neugierig! Prüft alles und behaltet das Gute! Allet Jute, wa! Oder wie wir Christen sagen: Gottes Segen für 2025!
Amen.
Florian Kunz
Predigt gehalten am 10. Januar 2025 in der St. Nikolai-Kirche zum Neujahrsempfang. Eine Predigt nach 1. Thessalonicher 5,21.
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